Neue Rubrik: Stimmen aus Bevölkerung und Bevölkerungsschutz

Jun 30, 2022 | News

Zeit für eine neue Rubrik!

Mich erreichen immer wieder Nachrichten, meist E-Mails, in denen sich Menschen zu Gefahrenabwehr und Bevölkerungsschutz in Deutschland äußern. Viele davon sind viel zu wichtig, um im Postfach zu „verstauben“. Daher möchte ich sie in unregelmäßigen Abständen als simulierte Interviews anonym veröffentlichen. Dies ersetzt natürlich keine Forschung und ist auch nicht als solche zu verstehen, jedoch als Case-Study: Schlaglichtartig sollen Aspekte des Sicherheitssystems beleuchtet werden. Beginnen werde ich mit einer Rückmeldung zum Fluteinsatz von vor einem Jahr. Viele der genannten Aspekte sind mir auch aus meiner Befragung der Einsatzkräfte bekannt.

 

Bevölkerungsschützer:

Nach der Flutkatastrophe habe ich immer wieder Gespräche mit Kollegen geführt, die in allen möglichen Funktionen vor Ort waren oder im Hintergrund gearbeitet haben. Das Ergebnis war eigentlich immer das gleiche: Der Katastrophenschutz/Bevölkerungsschutz bedarf einer umfassenden Reform.

 

Goersch:

Da stimme ich Ihnen voll zu. Alles muss auf den Prüfstand. Vor allem müssen die Grundannahmen, auf denen alles aufbaut, hinterfragt werden. Zum Beispiel: Geraten Menschen wirklich in Panik, wenn man sie vor einer Katastrophe warnt? Die Forschung sagt dazu: Das ist nicht der Fall. Entsprechend müssen die Überlegungen angepasst werden.

 

Bevölkerungsschützer:

Was mich aber im Nachhinein extrem frustriert, ist die Tatsache, dass viele meiner Kollegen, mich eingeschlossen, „untätig“ auf der Feuerwache saßen (oder ehrenamtliche Kameraden in ihrem Alltag), während in der Akutphase jede Hand und jede Menge technische Möglichkeiten geholfen hätten.

Etliche Einheiten haben teilweise tagelang in Bereitstellungsräumen Karten gespielt und wurden nicht effektiv ins Tal geführt. Die Medien und Kollegen aus meinem bisherigen Feuerwehrleben berichteten zudem von überfüllten und schlecht organisierten Bereitstellungsräumen.

 

Goersch:

Was Sie da berichten, ist mehr als schlecht. Bereitstellungsräume können ein gutes taktisches Mittel sein. Ich glaube, dass das aber in Flächenlagen schnell an die Grenzen des Sinnvollen stößt. Wenn man mehr mit Aufbau und Verwaltung eines Bereitstellungsraumes beschäftigt ist, als damit, alle Kräfte in den Einsatz zu bringen, dann läuft etwas falsch. Für Flächenlagen ist das meiner Ansicht nach kein geeignetes taktisches Mittel. Dann lieber mit einem Reception Desk und autonomen Einheiten arbeiten.

Bevölkerungsschützer:

Ich konnte eine Woche nach dem Ereignis das erste Mal selbst auf eigene Faust für drei Tage nach Ahrweiler fahren. Ich hatte meinen Wagen mit gespendeten Trocknungsgeräten und einem Stromerzeuger voll. Ein Ansprechpartner vor Ort hatte mich im Vorfeld informiert, was dringend gebraucht wird und welche Arbeiten anfallen.

Die klassischen Aufgaben in meinem Job hatten damit nichts mehr zu tun. Ich habe Böden rausgestemmt, Decken rausgerissen und Keller entschlammt. Ich war danach noch drei Mal für einen Tag mit dem Helfershuttle dort und war froh, helfen zu können.

 

Goersch:

Da haben Sie meinen großen Respekt. Gerade weil Sie vom Fach sind und sich dennoch mit Hilfsarbeiten zufriedengegeben haben, weil das eben gebraucht wurde. Aus verschiedenen Gründen war ich nicht im Einsatz. Ich hatte einer Organisation, bei der ich Mitglied bin, meinen Einsatz angeboten, aber irgendeine Belehrung von mir war nicht mehr aktuell, daher hat das nicht funktioniert. Vielleicht ist auch das ein bürokratisches Problem.

 

Bevölkerungsschützer:

Ich vermisse aktuell zwei Dinge:

(1) Die Wiedereinführung eines Dienstes an der Gesellschaf. Der Mitgliederschwund in ehrenamtlichen Einrichtungen ist erkennbar, und aktuelle Kampagnen zur Mitgliedergewinnung sind meines Erachtens nicht ausreichend. Außerdem wird ein „verpflichtender“ Dienst an der Gesellschaft diese insgesamt auch nach vorne bringen.

 

Goersch:

Das teile ich absolut. Ich habe dazu bereits einige Diskussionen in den sozialen Netzwerken geführt. Es darf nicht so sein, dass beispielsweise kein Personal mehr für die Pflege gewonnen wird, weil es einen Pflichtdienst gibt. Aber ein solcher Dienst würde sicherlich die Effekte haben, die Sie beschrieben haben mit großen Auswirkungen auf die Resilienz unserer Gesellschaft.

 

Bevölkerungsschützer:

(2) Die Möglichkeit, freiwillige, zivile Helfer nach solchen Katastrophen koordiniert in die Gebiete zu bringen, ist erkannt, die Umsetzung bleibt abzuwarten. Aber qualifizierte, professionelle Helfer, mit geeigneten Mitteln in der Akutphase in den Einsatz zu bringen, wurde bei dem, was ich gelesen habe, nicht berücksichtigt.

 

Goersch:

Es existieren bereits viele Konzepte für die Einbindung spontaner freiwilliger Helfer. Im Fall des Flutereignisses waren viele davon hoch qualifiziert und haben einen wesentlichen Beitrag geleistet. Teilweise gab es aber auch Ärger und Konflikte, einige davon dauern bis heute an

Ich glaube, dass man auch hier nochmal alles auf den Prüfstand legen muss. Ein Paradigma von mir lautet: Katastrophenschutzplanung darf keine Geheimwissenschaft sein. Sprich: Man sollte sehr offen mit allen Planungen umgehen und die mit der Bevölkerung diskutieren. Vielleicht lässt sich auch auf diesem Weg spontane Hilfe im Vorfeld noch besser organisieren und kanalisieren.

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